Amnesty Report Sri Lanka 08. Mai 2015

Sri Lanka 2015

 

Rechtswidrige Inhaftierungen und Folter durch die Sicherheitskräfte blieben straflos. Die Behörden wendeten weiterhin das Antiterrorgesetz an, um Personen, die sie einer Straftat verdächtigten, festzunehmen und ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren zu inhaftieren. Menschenrechtsverteidiger und Familienangehörige von "verschwundenen" Personen wurden bedroht und festgenommen. Tödliche Anschläge auf Angehörige religiöser Minderheiten blieben ungesühnt.

Die systematische Straflosigkeit in Fällen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit veranlasste den UN-Menschenrechtsrat im März 2014 zur Verabschiedung einer Resolution, in der eine umfassende Untersuchung durch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte gefordert wurde. Die Regierung wies die Resolution entschieden zurück und verweigerte ihre Kooperation bei einer derartigen Untersuchung.

Regierungsbeamte und Gefolgsleute der Regierung drohten Menschenrechtsverteidigern Vergeltungsmaßnahmen an, wenn diese bei ihnen im Verdacht standen, Kontakt zu UN-Ermittlern aufgenommen oder sich auf andere Weise zugunsten der Rechenschaftslegung für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt zu haben.

Im Vorfeld der für Januar 2015 angesetzten Präsidentschaftswahlen wurde über Fälle politisch motivierter Gewalt und über Einschüchterungsversuche berichtet. Davon betroffen waren hauptsächlich Unterstützer der politischen Opposition und zivilgesellschaftliche Akteure.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Tamilen, die verdächtigt wurden, Verbindungen zu den Befreiungstigern von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eelam – LTTE) zu unterhalten, wurden weiterhin auf Grundlage des Antiterrorgesetzes anstatt nach Maßgabe des gewöhnlichen Strafrechts festgenommen und inhaftiert. Das Antiterrorgesetz erlaubt eine ausgedehnte Verwaltungshaft und verlagert bei Folter- oder Misshandlungsvorwürfen die Beweislast auf den Häftling. Es schränkt darüber hinaus die Rechte auf freie Meinungsäußerung und auf friedliche Versammlung ein. Das Gesetz wurde benutzt, um Regierungskritiker festzunehmen.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen – u.a. sexuelle Gewalt – kamen in Sri Lanka noch immer häufig vor, insbesondere bei der Festnahme und zu Beginn der Untersuchungshaft. Betroffene berichteten, dass sowohl erwachsene als auch jugendliche Häftlinge gefoltert wurden; unter ihnen befanden sich Personen, die bei Sicherheitseinsätzen festgenommen worden waren, ebenso wie solche, die gewöhnlicher Straftaten verdächtigt wurden.

Exzessive Gewaltanwendung

Es trafen weiterhin Berichte über die Anwendung unnötiger und unverhältnismäßiger Gewalt ein, die den Tod von Demonstrierenden zur Folge hatte; die Verantwortlichen blieben straffrei. Vier Armeeoffiziere, die im Zuge interner Ermittlungen zum Einsatz von Schusswaffen während einer Demonstration gegen Trinkwasserverschmutzung in Weliweriya im Jahr 2013 suspendiert worden waren, wurden im Mai 2014 wiedereingestellt und mit neuen Aufgaben betraut.

Während der Proteste waren mehrere Demonstrierende getötet worden; dem Vernehmen nach war eine Person totgeschlagen worden, als sie Zuflucht in einer Kirche suchte. Der Bericht der Armee über den Schusswaffeneinsatz bei der Demonstration wurde nicht veröffentlicht.

Tod in Gewahrsam

Im Juni 2014 forderte das Freitagsforum (Friday Forum), eine informelle zivilgesellschaftliche Gruppe, den Generalinspektor der Polizei auf, gegen die Tötung mutmaßlicher Straftäter in Polizeigewahrsam Maßnahmen zu ergreifen. Die Polizei behauptete häufig, die Verdächtigen seien in Notwehr oder während eines Fluchtversuchs getötet worden.

Auch die Anwaltskammer von Sri Lanka verurteilte die Tötung von Tatverdächtigen in Polizeigewahrsam. Ende 2013 starben vier Männer, die wegen der mutmaßlichen Ermordung eines Polizisten und seiner Ehefrau inhaftiert worden waren, innerhalb von zwei Wochen unter verdächtigen Umständen im Gewahrsam der Polizei.

Die Anwaltskammer brachte im Dezember 2013 in einer Stellungnahme zu dem Vorfall ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die von der Polizei abgegebenen Berichte zu diesem Fall praktisch identisch mit den Erklärungen zu früheren Fällen waren und der dringende Verdacht bestehe, dass es sich bei den Todesfällen um außergerichtliche Hinrichtungen handele.

Verschwindenlassen

Im August 2013 setzte der Präsident eine Ad-hoc-Kommission zur Prüfung von Beschwerden zu Vermissten-Fällen ein. Die Verschwundenenkommission (ad hoc Presidential Commission to Investigate into Complaints Regarding Missing Persons oder Disappearances Commission) hat den Auftrag, Beschwerden zu Fällen "verschwundener" Personen aus der Zeit zwischen dem 10. Juni 1990 und dem 19. Mai 2009 zu untersuchen.

Die Kommission erhielt ungefähr 15000 Anzeigen, die "verschwundene" Zivilpersonen betrafen, und ungefähr 5000 Meldungen über vermisste Angehörige der Streitkräfte. Dem Vernehmen nach hatte die Kommission bis zum August 2014 lediglich Nachforschungen zu weniger als 5% dieser Fälle (462 Anzeigen) eingeleitet. Einige der Vermisstenanzeigen sollen über zehn Jahre alt sein; sie werden laut Auskunft der Kommission zum Zwecke weiterer Nachforschungen ausgewertet.

Straflosigkeit

Neben dem Verschwindenlassen waren während des bewaffneten Konflikts weitere schwerwiegende Verstöße gegen das Völkerrecht verübt worden, die keine rechtlichen Konsequenzen nach sich zogen. Dazu gehörten außergerichtliche Hinrichtungen und der vorsätzliche Beschuss von Zivilpersonen und geschützten Bereichen wie Krankenhäusern. Die Regierung leugnete bis zum 15. Juli 2014, dass solche Verbrechen stattgefunden hatten. An diesem Tag kündigte sie jedoch an, dass sie das Mandat ihrer Verschwundenenkommission erweitern werde, um neben den Fällen "verschwundener" Personen auch andere mutmaßliche Verbrechen nach dem Völkerrecht zu untersuchen. Zur Beratung der Regierung wurde ein Gremium internationaler Anwälte gebildet.

Flüchtlinge und Asylsuchende

In Sri Lanka wurden Asylsuchende inhaftiert und ohne angemessene Prüfung ihrer Asylanträge abgeschoben. Darunter waren auch Personen, die beim UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) registriert waren und auf ihre Anhörung warteten. Zwischen Juni und September 2014 nahmen die Behörden 328 Asylsuchende fest und inhaftierten sie. 183 von ihnen wurden nach Pakistan und Afghanistan abgeschoben.

Im September erklärte der UNHCR, dass sich seiner Einschätzung nach noch mehr als hundert registrierte Personen in Haft befanden, darunter 38 pakistanische und 64 afghanische Staatsangehörige. Viele von ihnen gehörten religiösen Minderheitsgruppen an, die in ihren Heimatländern Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt waren.

Menschenrechtsverteidiger

Die Behörden bedrohten und schikanierten nach wie vor Menschenrechtsverteidiger wie Rechtsanwälte, Familienangehörige "verschwundener" Personen und andere Aktivisten und nahmen sie fest. Keiner der Amnesty International bekannten Fälle wurde umfassend untersucht und strafrechtlich verfolgt. Personen, die Rechenschaft für vergangene und aktuelle Menschenrechtsverletzungen einforderten, waren Schikanen und Drohungen ausgesetzt.

Unter ihnen waren Menschenrechtsverteidiger, die versucht hatten, den UN ihre Bedenken hinsichtlich der Menschenrechtssituation mitzuteilen. In einigen Fällen kam es zur Inhaftierung von Personen, die unter dem Verdacht standen, diese Probleme durch Kontakt mit ausländischen Kollegen zu "internationalisieren". Frauenrechtlerinnen im Norden Sri Lankas wurden verhört und festgenommen.

Balendran Jeyakumari, deren Sohn vermutlich Opfer des Verschwindenlassens wurde, war seit ihrer im März 2014 auf Grundlage des Antiterrorgesetzes erfolgten willkürlichen Festnahme noch immer inhaftiert. Die bekannten Menschenrechtsverteidiger Ruki Fernando und Pater Praveen Mahesan sahen sich fortgesetzt mit von Gerichten auferlegten Restriktionen konfrontiert, nachdem sie den Versuch unternommen hatten, den Fall von Balendran Jeyakumari zu untersuchen.

Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs-, Vereinigungsfreiheit und Freizügigkeit

Es trafen laufend Berichte ein, wonach Behördenvertreter Journalisten einzuschüchtern versuchten und drangsalierten. Die Journalisten sahen sich u.a. mit tätlichen Angriffen, Morddrohungen und politisch motivierten Anklagen konfrontiert.

Die Täter mussten nicht befürchten, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Untersuchungen dieser Vorfälle fanden nicht statt, und diejenigen, die mutmaßlich kriminelle Handlungen begangen hatten, wurden nicht strafrechtlich verfolgt. Auch in älteren Fällen von Gewalt gegen Journalisten, darunter rechtswidrige Tötungen und Verschwindenlassen, wurden keine strafrechtlichen Maßnahmen eingeleitet.

Am 18. Mai 2014, dem fünften Jahrestag der Beendigung des bewaffneten Konflikts in Sri Lanka, verfügte das Militär die Schließung des Büros von Uthayan, einer in Jaffna erscheinenden Zeitung. Die Zeitung war bereits zu früheren Zeitpunkten zwangsweise geschlossen worden, und ihre Mitarbeiter waren schon in der Vergangenheit bedroht und angegriffen worden.

Zivilgesellschaftliche Organisationen gerieten gleichfalls unter Druck. Am 1. Juli 2014 richtete das Verteidigungsministerium ein Memorandum an "alle Nichtregierungsorganisationen" und warnte diese darin, weiterhin Pressekonferenzen, Workshops und Trainingsmaßnahmen für Journalisten durchzuführen oder Pressemitteilungen zu verbreiten.

In vielen Teilen des Landes wurden Studierende tätlich angegriffen, und die Behörden versuchten mehrfach, sie daran zu hindern, sich zu organisieren. So wurden Studentenverbände verboten und politisch aktive Studierende suspendiert. Im Oktober 2014 kam es erneut zur Verhängung von Reisebeschränkungen: Ausländische Reisende mussten nunmehr für Reisen in die Nordprovinz eine Genehmigung des Verteidigungsministeriums einholen.

Im Dezember 2014 dokumentierten Wahlbeobachter zahlreiche Fälle von politischer Gewalt, wie Angriffe auf politische Kundgebungen, Überfälle und Schäden durch Brandstiftung. Die Taten wurden zumeist von Mitgliedern der Regierungspartei verübt.

Justizwesen

Die Unabhängigkeit der Justizorgane in Sri Lanka wurde durch den Wegfall wichtiger Kontrollmechanismen gefährdet, die die Gewaltenteilung schützten. Die 18. Verfassungsänderung, die im Jahr 2010 beschlossen worden war, räumte dem Präsidenten die Ernennungs- bzw. Entlassungsvollmacht für folgende Justizbedienstete ein: den Obersten Richter und die Richter des Obersten Gerichtshofs, den Präsidenten und die Richter des Berufungsgerichts, den Generalstaatsanwalt und die Mitglieder der Justizkommission, welche für Ernennungen, Versetzungen, Entlassungen und disziplinarische Kontrolle von Justizbeamten zuständig ist.

2013 wurde, nachdem der Oberste Gerichtshof in mehreren wichtigen Fällen gegen die Regierung entschieden hatte, die Oberste Richterin vom Parlament ihres Amtes enthoben und anschließend vom Präsidenten entlassen, obwohl ein Urteil des Obersten Gerichtshofs den Prozess der Amtsenthebung für verfassungswidrig erklärt hatte.

Diskriminierung – Angriffe auf Minderheiten

Diskriminierung von ethnischen, linguistischen und religiösen Minderheiten – darunter tamilische, muslimische und christliche Gemeinschaften – war weiterhin an der Tagesordnung. Gegen Minderheiten wurden willkürliche Einschränkungen der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit verfügt. Tamilen wurden – insbesondere, wenn sie aus dem Norden des Landes stammten – von den Sicherheitskräften schikaniert, bedroht und festgenommen, weil sie verdächtigt wurden, mit der LTTE zu sympathisieren oder Verbindungen zu ihr zu unterhalten. Der Verdacht basierte zumeist nur auf der ethnischen Zugehörigkeit oder dem Herkunfts- oder Wohnort der Betroffenen.

Armee und Polizei unterdrückten die Rechte der im Norden des Landes lebenden Tamilen, öffentlich für Gerechtigkeit einzutreten oder derjenigen zu gedenken, die im bewaffneten Konflikt getötet worden waren. In den tamilischen Gemeinden im Norden Sri Lankas waren an bestimmten politisch brisanten Tagen hinduistische und christliche Feierlichkeiten nur eingeschränkt erlaubt. Außerdem hielt die von der Armee erlassene Vorschrift, dass alle öffentlichen Versammlungen, auch Familienfeiern, bei den lokalen Militärbehörden vorab anzumelden seien, viele davon ab, an solchen Aktivitäten teilzunehmen.

Die Polizei schritt nicht zugunsten religiöser Minderheiten ein, wenn diese tätlich angegriffen wurden.

Die Verantwortlichen für derartige Gewaltakte wurden nicht festgenommen, auch wenn fotografische Beweise ihrer Identität vorlagen. Drohungen, Schikanen und Gewalt gegen Muslime und Christen sowie die Angriffe auf deren jeweilige Gebetsstätten gipfelten im Juni 2014 in einem massiven Gewaltausbruch in einem muslimischen Wohnbezirk in Aluthgama, bei dem zahlreiche Einwohner verletzt oder getötet und Wohnhäuser und Geschäfte zerstört wurden.

Amnesty International: Bericht

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