Amnesty Report Indonesien 01. Juni 2016

Indonesien 2016

 

Den Sicherheitskräften wurden Menschenrechtsverletzungen wie die Anwendung unnötiger und exzessiver Gewalt vorgeworfen. 2015 kam es insbesondere in der Provinz Papua immer wieder zu willkürlichen Festnahmen von friedlich Protestierenden. Die Regierung schränkte die Aktivitäten anlässlich des 50. Jahrestags der 1965/66 verübten schweren Menschenrechtsverletzungen ein. In allen Teilen des Landes wurden religiöse Minderheiten weiterhin drangsaliert, eingeschüchtert und angegriffen. Im Oktober 2015 trat in der Provinz Aceh ein neues islamisches Strafgesetzbuch in Kraft, das die Prügelstrafe auf gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen und den Austausch von Intimitäten zwischen unverheirateten Personen ausweitete. 14 Todesurteile wurden vollstreckt.

Hintergrund

Präsident Joko Widodo löste sein im Jahr 2014 während des Wahlkampfs gegebenes Versprechen, gegen zurückliegende Menschenrechtsverletzungen vorzugehen, nicht ein. Die Meinungsfreiheit wurde zunehmend eingeschränkt, und die Zahl der Fälle, in denen für Drogendelikte die Todesstrafe verhängt wurde, stieg.

Polizei und Sicherheitskräfte

Es gab weiterhin Berichte über von Polizei- und Militärangehörigen verübte Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrige Tötungen, unnötige und unverhältnismäßige Gewaltanwendung, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.

Im März 2015 griffen Angehörige der Mobilen Polizeibrigade (Brimob) Einwohner im Dorf Morekau im Regierungsbezirk Seram Bagian Barat in der Provinz Maluku an. Zuvor hatten sich die Einwohner bei den ins Dorf gekommenen Brimob-Beamten darüber beschwert, dass sie eine religiöse Zeremonie störten. Dreizehn Personen erlitten bei dem Angriff schwere Verletzungen. Obwohl der regionale Polizeichef versprach, den Vorfall zu untersuchen, wurde gegen niemanden Anklage erhoben.

Im August 2015 eröffneten Militärangehörige außer Dienst das Feuer auf Menschen vor einer Kirche in Timika in der Provinz Papua und erschossen zwei Personen. Ebenfalls in Timika schossen Polizisten im September 2015 während einer "Sicherheitsoperation" auf zwei unbewaffnete Schüler einer weiterführenden Schule und töteten einen von ihnen.

Im Oktober 2015 ging die lokale Polizei in Jakarta mit unnötiger Gewalt gegen die Teilnehmenden einer friedlichen Arbeitnehmerkundgebung vor. Die Polizei nahm 23 Protestierende fest und schlug sie. Zwei ebenfalls festgenommene Rechtshilfeaktivisten berichteten, dass sie Verletzungen an Kopf, Gesicht und im Bauchbereich erlitten hätten. Die Polizei machte die Protestierenden für die Gewalt verantwortlich. Die Festgenommenen wurden wegen Bedrohung von Beamten und der Weigerung, die Demonstration aufzulösen, angeklagt und danach wieder auf freien Fuß gesetzt.

Straflosigkeit

Mehr als zehn Jahre nach der Ermordung des bekannten Menschenrechtsverteidigers Munir Said Thalib hatten die Behörden noch immer nicht alle Täter vor Gericht gestellt.

Im September 2015 jährten sich zum 50. Mal die in den Jahren 1965/66 verübten schweren Menschenrechtsverletzungen. Menschenrechtsorganisationen haben eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die im Kontext des misslungenen Staatsstreichs im Jahr 1965 begangen wurden. Dazu gehörten rechtswidrige Tötungen, Folter, Vergewaltigung, Verschwindenlassen, sexuelle Versklavung und andere Verbrechen sexueller Gewalt, Sklaverei, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, Vertreibung und Zwangsarbeit. Schätzungen zufolge wurden in diesem Zeitraum zwischen 500 000 und 1 Mio. Menschen getötet. Hunderttausende wurden ohne Anklage und Gerichtsverfahren über Zeiträume von einigen Tagen bis zu mehr als 14 Jahren in Haft gehalten. Zwar wurden die staatsbürgerlichen Rechte der Opfer dieser Verbrechen nicht länger eingeschränkt, doch bewegten sich die Täter weiterhin in einer Kultur der Straflosigkeit.

Im Mai 2015 kündigte der Generalstaatsanwalt an, dass die Regierung beabsichtige, einen außergerichtlichen Mechanismus zu schaffen, um die in der Vergangenheit verübten Menschenrechtsverletzungen durch ein "Versöhnungskomitee" aufarbeiten zu lassen. Nach der über Jahrzehnte andauernden Straflosigkeit für die während der Herrschaft des ehemaligen Machthaber Haji Mohamed Suharto (1965–98) verübten Menschenrechtsverletzungen und -verstöße beurteilten Menschenrechtsgruppen dieses Vorhaben als einen zwar kleinen, aber dennoch positiven Schritt. Überlebende und NGOs befürchteten jedoch weiterhin, dass bei diesem Prozess der Versöhnung Priorität eingeräumt und dadurch Bemühungen um Wahrheit und Gerechtigkeit vernachlässigt werden könnten.

Im Jahr 2015 feierten die Bürger von Aceh den zehnten Jahrestag des 2005 geschlossenen Friedensabkommens von Helsinki. Mit dem zwischen der Regierung und der bewaffneten Unabhängigkeitsbewegung Freies Aceh geschlossenen Abkommen war ein 29 Jahre andauernder Konflikt beendet worden, bei dem zwischen 10 000 und 30 000 Menschen, darunter zahlreiche Zivilpersonen, getötet worden waren. Im November 2015 bestimmte das Repräsentantenhaus von Aceh ein Komitee, das die Aufgabe hatte, die Mitglieder der Wahrheits- und Versöhnungskommission von Aceh zu berufen. Die Kommission soll die während des Konflikts verübten Menschenrechtsverstöße untersuchen. Einige Bestimmungen des Gesetzes, auf dessen Grundlage die Kommission geschaffen wurde, entsprachen jedoch nicht dem Völkerrecht und internationalen Standards. Das Mandat der Kommission wurde auf Fälle von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen beschränkt und erstreckte sich nicht auf andere völkerrechtliche Verbrechen wie Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und Verschwindenlassen.

Bei Ermittlungen zu Erschießungen, Folter und anderen Misshandlungen durch Polizei und Militär waren auch weiterhin keine Fortschritte zu verzeichnen. Obwohl Präsident Widodo zugesichert hatte, eine umfassende Untersuchung des Vorfalls vom Dezember 2014 durchzuführen, bei dem Sicherheitskräfte vier Studierende in Paniai erschossen hatten, war bis zum Jahresende niemand wegen dieser Taten vor Gericht gestellt worden.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Der gewaltlose politische Gefangene Filep Karma wurde am 19. November 2015 freigelassen, nachdem er wegen der friedlichen Äußerung seiner politischen Ansichten mehr als ein Jahrzehnt im Gefängnis zugebracht hatte. Dieser Schritt erfolgte im Kontext einiger begrenzter, jedoch positiv zu beurteilender Maßnahmen für mehr Freiheit, die die Behörden in den Provinzen Papua und West-Papua ergriffen hatten. So hatte der Präsident im Mai 2015 in der Provinz Papua fünf politische Aktivisten begnadigt, die wegen des unerlaubten Betretens eines militärischen Geländes inhaftiert waren. Zudem kündigte er Begnadigungen oder eine Amnestie für weitere inhaftierte politische Aktivisten an.

Gewaltlose politische Gefangene, darunter Johan Teterissa in der Provinz Maluku, befanden sich jedoch weiterhin in Haft, nachdem sie wegen friedlicher Demonstrationen auf der Grundlage der Bestimmungen des indonesischen Strafgesetzbuchs über makar (Rebellion) verurteilt worden waren. Mindestens 27 nach diesen strafrechtlichen Bestimmungen verurteilte Personen waren in der Provinz Papua inhaftiert. In der Provinz Maluku befanden sich 29 gewaltlose politische Gefangene nach wie vor in Haft.

In den Provinzen Papua und West-Papua wurden friedliche Aktivisten weiterhin festgenommen und inhaftiert. Im Mai 2015 nahmen die Behörden 264 Aktivisten in Gewahrsam, die anlässlich des 52. Jahrestags der Übergabe von Papua an die Regierung Indonesiens durch die UN friedlich protestieren wollten. Zudem wurden 216 Mitglieder des Nationalen Komitees von West-Papua (Komite Nasional Papua Barat – KNBP) willkürlich festgenommen, weil sie an friedlichen Demonstrationen zur Unterstützung einer Bewerbung Papuas um die Mitgliedschaft in der subpazifischen zwischenstaatlichen Organisation Melanesian Spearhead Group teilgenommen hatten. Die meisten von ihnen kamen später frei, zwölf Personen wurden jedoch wegen der Teilnahme an den Demonstrationen angeklagt, u. a. auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen über "Rebellion".

Im Mai 2015 kündigte Präsident Widodo an, dass die für ausländische Journalisten geltenden Einschränkungen hinsichtlich der Einreise nach Papua aufgehoben würden. Bis zum Jahresende war diese Ankündigung jedoch noch nicht umfassend umgesetzt worden. Anfang Oktober 2015 wurden drei papuanische Aktivisten festgenommen, die eine französische Journalistin in den Regierungsbezirk Pegunungan Bintang in Papua begleitet hatten, weil sie über die Aktivitäten der KNBP berichten wollte. Der lokale Migrationsbeauftragte befragte die drei Männer zu den Aktivitäten der Journalistin. Sie wurden zehn Stunden lang festgehalten, bevor sie ohne Anklage wieder freikamen.

Während des gesamten Jahres wurden Menschen, die friedlich ihre Meinung geäußert hatten, auf der Grundlage von gesetzlichen Bestimmungen über Verleumdung, Blasphemie und "Hassreden" verurteilt.

Im März 2015 verurteilte das Gericht des Regierungsbezirks Bandung eine Frau zu fünf Monaten Haft, nachdem sie auf Facebook eine "private" Nachricht an eine Freundin geschickt hatte, in der sie ihren Ehemann beschuldigte, sie zu misshandeln. Ihr Mann zeigte sie bei der Polizei an, nachdem er sich Zugang zu ihrem Facebook-Account verschafft und dabei die Beschuldigung entdeckt hatte. Die Frau wurde unter Paragraph 27(1) des Informations- und Kommunikationsgesetzes (Gesetz Nr. 11/2008) wegen der "elektronischen Versendung von Inhalten, die gegen die guten Sitten verstoßen haben", verurteilt. Weitere drei Personen wurden im Laufe des Jahres in Yogyakarta, Süd-Sulawesi und Zentral-Java auf der Grundlage dieses Gesetzes wegen Verleumdung schuldig gesprochen.

Die Regierung schränkte auch weiterhin Aktivitäten ein, die sich auf die zahlreichen in den Jahren 1965–66 verübten Menschenrechtsverletzungen bezogen. Im Oktober 2015 konfiszierte und verbrannte die Polizei in Salatiga in Zentral-Java Hunderte Exemplare des von der Fakultät für Sozial- und Kommunikationsstudien der Satya-Wacana-Universität herausgegebenen Magazins Lentera, da ein darin enthaltener Hintergrundbericht sowie das Titelblatt den 50. Jahrestag der Menschenrechtsverletzungen von 1965 bis 66 thematisierten. Im selben Monat wurden drei für das Literaturfestival von Ubud geplante Diskussionsrunden, die sich mit diesen Menschenrechtsverletzungen befassen sollten, abgesagt, nachdem die Behörden damit gedroht hatten, die Genehmigung für die Durchführung des Festivals zu widerrufen.

Mindestens sechs Personen werden noch immer auf der Grundlage der Blasphemiegesetze festgehalten. Im Januar 2015 wurden sechs Mitglieder der nationalen kulturellen Bewegung Gafatar in Banda Aceh in der Provinz Aceh in Haft genommen und auf der Grundlage von Paragraph 156 des Strafgesetzbuchs wegen Beleidigung der Religion angeklagt. Islamische Organisationen hatten Gafatar vorgeworfen, "abweichende" Glaubensinhalte zu propagieren. Im Juni 2015 wurde der Leiter von Gafar zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Im Oktober 2015 erließ die Polizei eine neue nationale Verordnung zu Hassreden (Surat Edaran Nr. SE / 6 / X/2015). Obwohl sich die Verordnung auf Meinungsäußerungen bezieht, die "zum Ziel haben, Hass oder Feindseligkeit gegenüber Personen zu schüren", befürchteten zivilgesellschaftliche Aktivisten, dass sie auch herangezogen werden könnte, um Personen unter dem Vorwurf der Verleumdung oder religiösen Diffamierung anzuklagen.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Religiöse Minderheiten wurden weiterhin schikaniert, eingeschüchtert und angegriffen, wofür diskriminierende nationale und lokale Gesetze und Verordnungen Vorschub leisteten.

Im Juli 2015 brannten Angehörige der Christlichen Evangelikalen Kirche von Indonesien (Gereja Injil di Indonesia – GIDI) ein Gebetshaus in Karubaga im Regierungsbezirk Tolikara in der Provinz Papua nieder, wo Muslime das Fest des Fastenbrechens (Eid al-Fitr) begingen. Ursprünglich hatten sich Mitglieder der GIDI versammelt, um sich darüber zu beschweren, dass eine kirchliche Zeremonie durch den von dem muslimischen Gebetshaus ausgehenden Lärm gestört wurde. Sowohl Militär- als auch Polizeiangehörige schossen in die Menge und töteten einen Mann. Jugendliche Angehörige der GIDI zerstörten danach das Gebetshaus sowie mehrere in der Nähe gelegene Geschäfte. Zwei Männer wurden wegen Anstiftung zu Gewalt festgenommen.

Im Oktober 2015 wurden im Regierungsbezirk Aceh Singkil christliche Kirchen von einer mindestens 200 Personen zählenden Menschenmenge angegriffen, nachdem die lokalen Behörden den Abriss von zehn Kirchen in diesem Regierungsbezirk mit der Begründung angeordnet hatten, dass die Provinz- und die lokale Gesetzgebung die Anzahl von Gebetsstätten begrenzen würden. Die Angreifer brannten eine Kirche nieder und versuchten, eine weitere anzugreifen, wurden jedoch von lokalen Sicherheitskräften daran gehindert. Ein Angreifer wurde während der gewalttätigen Auseinandersetzungen getötet, und ungefähr 4000 Christen flohen unmittelbar danach in die benachbarte Provinz Nordsumatra. Zehn Personen wurden festgenommen. Die Regierung von Aceh Singkil hielt an ihren Plänen zum Abriss der restlichen Kirchen fest.

Im November 2015 steckte eine aufgebrachte Menschenmenge das Gebetshaus einer lokalen indigenen Glaubensgemeinschaft in Rembang in Zentral-Java in Brand, das gerade renoviert wurde. Vor dem Brandanschlag hatte eine lokale islamische Organisation den Sprechern der Glaubensgemeinschaft eine Drohung geschickt. Sie waren außerdem vom Präsidenten des Regierungsbezirks Rembang aufgefordert worden, die Renovierung zu stoppen. Bis Ende 2015 war niemand für den Vorfall zur Verantwortung gezogen worden.

Die Situation mehrerer Gemeinschaften religiöser Minderheiten, die zum Ziel von Schikanen, Gewalt und Vertreibung geworden waren, blieb unsicher. Drei Jahre nach der durch die lokalen Behörden in Sampang in Ost-Java angeordneten Vertreibung einer Gemeinschaft von Schiiten, der eine antischiitische Menschenmenge zuvor Gewalt angedroht hatte, waren 300 Angehörige der Gemeinschaft noch immer nicht an ihren Heimatort zurückgekehrt.

Mitglieder der presbyterianischen Yasmin-Gemeinde und der Filadelfia-Gemeinde setzten ihre Zusammenkünfte vor dem Präsidentenpalast in Jakarta fort, da ihre Kirchen in Bogor und Bekasi weiterhin versiegelt blieben. Der Oberste Gerichtshof hatte zwar die von der Stadtverwaltung von Bogor im Jahr 2011 angeordnete Annullierung der Baugenehmigung für die Kirche der Yasmin-Gemeinde für nichtig erklärt, doch die Stadtverwaltung von Bogor verweigerte weiterhin die Wiedereröffnung des Gottes-hauses.

Grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe In der Provinz Aceh wurden im Jahr 2015 mindestens 108 Personen gemäß den Vorschriften der Scharia wegen Glücksspiels, Alkoholkonsums und "Ehebruchs" mit Stockhieben bestraft. Im Oktober 2015 trat das Islamische Strafgesetzbuch für die Provinz Aceh in Kraft, das die Prügelstrafe auf gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen und den Austausch von Intimitäten zwischen unverheirateten Personen ausweitete. Das Straf-gesetzbuch sieht im ersten Fall 100, im zweiten Fall 30 Hiebe als Strafe vor. Das neue Gesetz macht es zudem Vergewalti-gungsopfern nahezu unmöglich, Gerechtigkeit zu erlangen, da sie nun selbst den Beweis dafür erbringen müssen, dass sie vergewaltigt wurden. Falsche Beschuldigungen wegen Vergewaltigung oder Ehebruchs konnten ebenfalls mit Stockhieben bestraft werden.

Todesstrafe

Im Januar und April 2015 wurden 14 Gefangene hingerichtet, unter denen sich zwölf ausländische Staatsangehörige befanden. Alle Urteile ergingen aufgrund von Anklagen wegen Drogendelikten. Präsident Widodo hatte zuvor erklärt, dass er in derartigen Fällen unter keinen Umständen Gnadengesuche berücksichtigen werde. Die Regierung stellte finanzielle Mittel für die Durchführung weiterer Hinrichtungen im Jahr 2016 bereit. Bei Jahresende drohte mindestens 131 Menschen die Hinrichtung.

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