Amnesty Report Sri Lanka 09. Juni 2016

Sri Lanka 2016

 

Im Januar 2015 trat eine neue Regierung mit dem Versprechen an, eine Verfassungsreform durchzuführen und die Lage der Menschenrechte zu verbessern. Die Menschenrechtsprobleme stellten jedoch weiterhin eine große Herausforderung dar. Dazu gehörten die anhaltende Praxis willkürlicher Festnahmen und Inhaftierungen, Folter und andere Misshandlungen, Verschwindenlassen und Tod in Gewahrsam sowie das seit langem bestehende Klima der Straflosigkeit für diese und andere Menschenrechtsverletzungen.

Hintergrund

Im September 2015 wurden die Ergebnisse einer Untersuchung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte über die in den letzten sieben Jahren des bewaffneten Konflikts und der unmittelbar darauf folgenden Zeit begangenen mutmaßlichen Menschenrechtsverstöße vorgestellt. Danach könnten die dabei begangenen Fälle von Verschwindenlassen, rechtswidrigen Tötungen, Folter und anderen Misshandlungen, sexueller Gewalt, Zwangsrekrutierungen und die Rekrutierung von Kindern, gezielten militärischen Angriffen auf Zivilpersonen, Verweigerung humanitärer Hilfe und systematischer Freiheitsberaubung von Vertriebenen wegen deren ethnischer Zugehörigkeit Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Der Untersuchungsbericht empfahl gesetzliche und verfahrensrechtliche Reformen, um gegen fortgesetzte Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Daneben wurde die Einrichtung eines gemischten Sondergerichtshofs (hybrid special court) vorgeschlagen, in den neben srilankischen auch internationale Ermittler, Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte berufen werden sollen, um Personen, die unter dem Verdacht stehen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Die Regierung signalisierte ihr Einverständnis mit den Schlussfolgerungen, indem sie im September 2015 eine Resolution des UN-Menschenrechtsrats unterstützte, die zur Umsetzung der Empfehlungen des Berichts aufrief. Unter anderem soll sichergestellt werden, dass Zeugen wirksam geschützt und die Opfer des Konflikts und deren Familien bei der Gestaltung der Mechanismen für Wahrheit und Gerechtigkeit konsultiert werden.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Tamilen, die verdächtigt wurden, Verbindungen zu den Befreiungstigern von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eelam – LTTE) zu unterhalten, wurden auf der Grundlage des Antiterrorgesetzes (Prevention of Terrorism Act – PTA) festgenommen und inhaftiert. Das Gesetz erlaubt eine verlängerte Verwaltungshaft und verlagert bei Folter- oder Misshandlungsvorwürfen die Beweislast auf den Gefangenen. Im September 2015 versprach die Regierung, das PTA aufzuheben und es durch gesetzliche Bestimmungen zu ersetzen, die internationalen Standards entsprechen. Sie verpflichtete sich außerdem, die Gefangenenregister zu überprüfen und teilte mit, dass bereits mindestens 45 Gefangene nach ihrer "Rehabilitierung" freigelassen worden seien. Einige Gefangene wurden seit Jahren in Gewahrsam gehalten, ohne dass sie angeklagt oder ihre Verfahren abgeschlossen wurden. Oppositionsführer Rajavarothiam Sampanthan erklärte vor dem Parlament, dass noch 217 Personen auf der Grundlage der Bestimmungen des PTA inhaftiert seien. Die meisten von ihnen seien noch nicht vor Gericht gestellt worden. In der vorgenannten Zahl waren die Personen nicht berücksichtigt, die sich in der "Rehabilitation" befanden. Es handelte sich dabei um eine Form von willkürlicher Inhaftierung.

Folter und andere Misshandlungen

Es trafen weiterhin Berichte über Folter und andere Misshandlungen – u. a. sexuelle Gewalt – ein, und zuvor verübte Fälle blieben nach wie vor straffrei. Im Oktober 2015 ordnete der Generalinspekteur der Polizei eine Untersuchung der mutmaßlichen Misshandlung eines 17-jährigen Jungen und eines Mannes an. Beide waren im September 2015 im Zusammenhang mit der Vergewaltigung und Ermordung eines fünfjährigen Mädchens in Kotadeniyawa inhaftiert worden. Ihr Anwalt erklärte, dass sie von der Polizei geschlagen, entblößt und fotografiert worden seien, um sie zu falschen Geständnissen zu nötigen. Beide wurden ohne Anklage freigelassen. Kurz vor diesem Vorfall hatte die Regierung dem UN-Menschenrechtsrat zugesichert, allen Teilen der Sicherheitskräfte strikte Anweisungen zu erteilen, wonach Folter und andere Misshandlungen, einschließlich sexueller Gewalt, sowie jegliche andere Arten von Menschenrechtsverletzungen verboten seien und Zuwiderhandelnde mit strafrechtlichen Ermittlungen und Bestrafung rechnen müssten.

Exzessive Gewaltanwendung

Nach wie vor gingen Beschwerden über die Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt bei Polizeieinsätzen im Zusammenhang mit Demonstrationen ein, und die Fälle, die sich in der Vergangenheit ereignet hatten, blieben weiterhin straffrei. Die Ergebnisse einer vom Militär eingeleiteten Untersuchung zur Tötung unbewaffneter Demonstrierender durch Armeeangehörige im August 2013 wurden nicht veröffentlicht; die Demonstrierenden hatten sauberes Trinkwasser gefordert. Bis Ende 2015 war niemand für die Tötungen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden. Eine behördliche Untersuchung des Vorfalls war noch nicht abgeschlossen.

Tod in Gewahrsam

Es gab weiterhin Berichte über ungeklärte Todesfälle in Polizeigewahrsam. Häftlinge starben an Verletzungen, die den Schluss zuließen, dass sie gefoltert und misshandelt worden waren, u. a. durch Schläge und Erstickung. Die Polizei behauptete hingegen, dass die Gefangenen Selbstmord begangen hätten. In einem Fall gaben sie an, dass der Mann bei einem Fluchtversuch ertrunken sei.

Verschwindenlassen

Die Zeugenaussage eines Beamten der Kriminalpolizei in Verbindung mit den Haftprüfungsanträgen (habeas corpus) der Familien von fünf Jugendlichen, die im Jahr 2008 aus einem Vorort der Hauptstadt Colombo "verschwunden" waren, bestätigte frühere Berichte eines ehemaligen Gefangenen, wonach die Marine geheime Haftzentren in Colombo und Trincomalee unterhielt, in denen Häftlinge gefoltert und getötet worden sein sollen.

Die vom ehemaligen Präsidenten Mahinda Rajapakse eingesetzte Kommission zur Untersuchung von Fällen vermisster oder verschwundener Personen erhielt 18 586 Berichte über vermisste Zivilpersonen. Bei der Aufklärung ihres Schicksals oder Verbleibs und der strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen für das Verschwindenlassen konnte sie aber nur geringe Fortschritte vorweisen. Nachdem die Regierung zu der Feststellung gelangt war, dass der Kommission nur wenig Vertrauen entgegengebracht wurde, kündigte sie im Oktober 2015 an, sie wolle diese durch eine andere Behörde ersetzen. Im Dezember 2015 unterzeichnete die Regierung das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen und versprach, es zu ratifizieren und das Verschwindenlassen als Straftatbestand zu definieren.

Straflosigkeit

Es herrschte weiterhin Straflosigkeit für während des bewaffneten Konflikts verübte mutmaßliche Verbrechen nach dem Völkerrecht, einschließlich Verschwindenlassen, außergerichtlicher Hinrichtungen und vorsätzlichen Beschusses von Zivilpersonen und geschützten Bereichen wie Krankenhäusern. Auch zahlreiche weitere Menschenrechtsverletzungen blieben ungesühnt. Dazu gehörten die im Januar 2006 verübte außergerichtliche Hinrichtung von fünf Studierenden in Trincomalee durch Angehörige der Sicherheitskräfte, die Tötung von 17 humanitären Helfern der Aktion gegen den Hunger in Muttur im August 2006, die Ermordung des Zeitungsherausgebers Lasantha Wickrematunge im Januar 2009 und das Verschwindenlassen der politischen Aktivisten Lalith Weeraraj und Kugan Muruganandan in Jaffna im Jahr 2011. Armeeangehörige und -bedienstete wurden über das im Jahr 2010 erfolgte Verschwindenlassen des regierungskritischen Karikaturisten Prageeth Eknaligoda befragt. Die Ermittlungen waren Ende 2015 noch nicht abgeschlossen.

Der Bericht einer im Jahr 2006 eingesetzten Untersuchungskommission, die sich mit den in Trincomalee und Muttur verübten Tötungen befasst hatte, wurde im Oktober 2015 veröffentlicht. Die anfänglich von der Polizei durchgeführten Ermittlungen wurden darin als unprofessionell kritisiert. Ein gleichfalls im Oktober 2015 veröffentlichter Untersuchungsbericht über zivile Opfer während des bewaffneten Konflikts forderte neue gesetzliche Bestimmungen zur Anerkennung der Vorgesetztenverantwortlichkeit (command responsibility) und eine unabhängige gerichtliche Untersuchung glaubhafter Hinweise, denen zufolge Angehörige der Streitkräfte mutmaßliche Kriegsverbrechen begangen haben.

Menschenrechtsverteidiger

Im Januar 2015 wurden abgetrennte Hundeköpfe vor den Häusern von Brito Fernando und Prasanga Fernando, zwei Mitarbeitern der Menschenrechtsorganisation Right to Life (Recht auf Leben), abgelegt. Die beiden Männer sowie ihr Kollege Phillip Dissanayake erhielten außerdem anonyme Drohanrufe, die auf ihr Engagement in Fällen des Verschwindenlassens anspielten, an denen die Polizei mutmaßlich beteiligt war.

Menschenrechtsverteidiger im Norden und Osten Sri Lankas berichteten weiterhin von Überwachungen durch die Polizei und das Militär. Zudem wurden sie zu ihrer Mitwirkung in lokalen NGOs und ihrer Teilnahme an politischen Versammlungen, Demonstrationen, Kampagnen für die Rechenschaftspflicht bei Menschenrechtsverletzungen und internationalen Veranstaltungen wie den Sitzungen des UN-Menschenrechtsrates befragt. Aktivisten aus dem Osten Sri Lankas erhielten Berichten zufolge anonyme Telefonanrufe, in denen sie Auskunft über Einzelheiten der Treffen, an denen sie teilgenommen hatten, geben sollten. Nachdem sie eine Erklärung unterzeichnet hatten, in der eine unabhängige internationale Untersuchung der mutmaßlichen Kriegsverbrechen gefordert wurde, erhielten sie auch anonyme Drohungen.

Im März 2015 wurde Balendran Jeyakumary, die sich aktiv gegen das Verschwindenlassen eingesetzt hatte und wegen Verstößen gegen die Bestimmungen des PTA festgenommen worden war, nach fast einjähriger Haft ohne Anklageerhebung gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Im September 2015 wurde sie erneut festgenommen und mehrere Tage inhaftiert. Am 30. Juni 2015 hob ein Gericht in Colombo das Reiseverbot gegen Ruki Fernando auf, das im März 2014 auf Anweisung der Abteilung für Terrorismus-Ermittlungen (Terrorist Investigation Division – TID) ergangen war. Ruki Fernando und der katholische Priester Praveen Mahesan waren auf der Grundlage der Bestimmungen des PTA inhaftiert worden, nachdem sie versucht hatten, Untersuchungen im Zusammenhang mit der Inhaftierung von Balendran Jeyakumary durchzuführen. Ruki Fernando war es weiterhin verboten, sich über die laufenden Ermittlungen der TID zu äußern. Seine elektronische Ausrüstung, die beschlagnahmt worden war, wurde ihm nicht wieder ausgehändigt.

Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Präsident Sirisena erklärte den 19. Mai, den Jahrestag der Beendigung des bewaffneten Konflikts in Sri Lanka, zum Gedenktag und betonte, dass er ein Tag des Gedenkens an alle Kriegstoten sein solle. Dieser Schritt ließ darauf schließen, dass frühere Einschränkungen öffentlicher Gedenkfeiern der Tamilen im Norden des Landes aufgehoben werden könnten. Obwohl in den meisten Gebieten Gedenkveranstaltungen erlaubt waren, wurde über eine starke Polizeipräsenz bei derartigen Zusammenkünften im Norden und Osten Sri Lankas berichtet. In Mullaitivu, dem Schauplatz der Endoffensive gegen die LTTE, sollen die Sicherheitskräfte die Gedenkfeierlichkeiten verboten haben.

Nach wie vor gingen, insbesondere aus dem Norden und Osten des Landes, Beschwerden darüber ein, dass Angehörige der Sicherheitskräfte Personen, die sich an Zusammenkünften beteiligten oder sich politisch betätigten, drangsalierten und überwachten.

Justizwesen

Die neue Regierung setzte die Oberste Richterin Shirani Bandaranayake erneut in ihr Amt ein. Shirani Bandaranayake, die im Jahr 2013 aus politischen Gründen ihres Amtes enthoben worden war, erklärte am darauffolgenden Tag ihren Rücktritt. Zu ihrem Nachfolger wurde Kanagasabapathy Sripavan ernannt. Das Parlament verabschiedete die 19. Verfassungsänderung, die Kontrollen der Befugnisse der Exekutivpräsidentschaft einführte. Durch diese Verfassungsänderung entfiel die Bevollmächtigung des Präsidenten zur direkten Ernennung und Entlassung von höheren Richtern und Mitgliedern von Schlüsselinstitutionen wie der Justizdienstkommission. Diese Befugnisse wurden auf den Verfassungsrat übertragen.

Diskriminierung – religiöse Minderheiten

Muslime und Christen berichteten nach wie vor über Drangsalierungen durch Polizei, Mitbürger und Politiker, insbesondere im Zusammenhang mit Wahlkampfveranstaltungen einiger buddhistischer Parteien im Vorfeld der Parlamentswahlen im August 2015. Frühere Vorfälle von gegen religiöse Minderheiten gerichteter Gewalt und Einschüchterung wurden nicht untersucht. Die Verantwortlichen für Todesfälle, Verletzungen und Eigentumsbeschädigungen, die muslimische Einwohner von Aluthgama Dharga und Beruwala bei den Gewaltausbrüchen im Jahr 2014 erlitten hatten, blieben straffrei.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Mai 2015 löste die auf der Insel Pungudutivu begangene Vergewaltigung und Ermordung der 17-jährigen Sivayoganathan Vidhya große Demonstrationen aus, die die strafrechtliche Verfolgung der gegen Frauen und Mädchen verübten Gewalttaten forderten. Die lokale Polizei wurde kritisiert, weil sie es abgelehnt haben soll, nach dem vermissten Teenager zu suchen, und Berichten zufolge gegenüber deren Familie erklärt hatte, dass die 17-Jährige vermutlich in Begleitung eines Liebhabers weggelaufen sei. Im September 2015 führte die Vergewaltigung und Ermordung eines fünfjährigen Mädchens in Kotadeniyama zu Forderungen nach der Wiedereinführung der Todesstrafe – selbst nachdem bekannt geworden war, dass die Polizei zwei Verdächtige gefoltert hatte, um sie zu falschen Geständnissen zu zwingen.

Zunehmend tauchten Indizien auf, die vermuten ließen, dass sexuelle Gewalt während des Konflikts und danach systematisch gegen Tamilen (Gefangene, LTTE-Angehörige, die sich ergeben hatten, und Zivilpersonen) eingesetzt worden war. Dies verlieh der Forderung nach einem rechtlichen Mechanismus zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen weiteren Nachdruck. Die am 7. Oktober 2015 erfolgte Verurteilung von vier Soldaten wegen der im Jahr 2010 verübten Gruppenvergewaltigung einer Frau im Aufnahmezentrum für tamilische Kriegsflüchtlinge in Kilinochchi wurde in weiten Kreisen als kleiner Sieg im Kampf gegen das anhaltende Klima der Straflosigkeit gewertet.

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