Amnesty Report Jordanien 16. Mai 2017

Jordanien 2017

Amnesty Report 2016 / 2017

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit blieben 2016 weiterhin eingeschränkt. Regierungskritiker und Oppositionelle wurden inhaftiert und strafrechtlich verfolgt. Die Anklagen lauteten häufig auf Diffamierung, Blasphemie und Verstöße gegen die Antiterrorgesetze. In den Haftzentren kam es weiterhin zu Folter und anderen Misshandlungen. Vor dem Staatssicherheitsgericht (SSC) fanden unfaire Gerichtsverfahren statt. Frauen wurden durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert und waren nur unzureichend vor sexualisierter Gewalt und anderen Gewalttaten geschützt. Ausländische Hausangestellte wurden ausgebeutet und misshandelt. In Jordanien lebten 2016 mehr als 655000 Flüchtlinge aus Syrien. Das Land riegelte allerdings im Juni seine Grenzen für neu eintreffende Flüchtlinge ab. Gerichte sprachen nach wie vor Todesurteile aus, es gab jedoch keine Berichte über Hinrichtungen.

HINTERGRUND

Jordanien beteiligte sich weiterhin an der von Saudi-Arabien angeführten internationalen Militärallianz, die in den bewaffneten Konflikt im Jemen eingriff (siehe Länderbericht Jemen).

Im März 2016 legte die Regierung dem König einen nationalen Plan für Menschenrechte vor, der zum Ziel hat, über einen Zeitraum von zehn Jahren schrittweise Verbesserungen im Bereich der Menschenrechte zu erreichen. Im Mai 2016 stimmte der Senat einer Verfassungsänderung zu. Der König ist jetzt bevollmächtigt, Führungskräfte des Justizwesens, der Armee, der Polizeikräfte und des Geheimdienstes direkt zu ernennen. Die Parlamentswahlen im September 2016 fanden zum ersten Mal nach dem Verhältniswahlrecht statt.

Die Lage an der Grenze zu Syrien blieb das Jahr über unsicher. Bei einem Bombenanschlag an der Grenze zu Syrien kamen im Juni 2016 mehrere jordanische Soldaten ums Leben. In diesem Grenzgebiet saßen rund 70000 syrische Flüchtlinge unter katastrophalen Bedingungen fest. Nach dem Angriff riegelte die Regierung Grenzübergänge ab und verweigerte syrischen Flüchtlingen, die dem Konflikt in Syrien entkommen wollten, die Einreise nach Jordanien. Im Dezember 2016 wurden nahe der Stadt al-Karak zehn Personen bei einem Anschlag getötet, unter ihnen auch drei Zivilpersonen. Zu dem Anschlag bekannte sich die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat (IS).

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Der von der Regierung ausgearbeitete nationale Zehnjahresplan für Menschenrechte sah u. a. vor, die gesetzlichen Schutzmechanismen gegen Folter zu stärken und Personen, die der Folter bezichtigt werden, strenger strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Diese Reformen wurden 2016 aber offenbar nicht umgesetzt. In Jordanien werden Polizisten, die wegen der Folterung von Gefangenen unter Anklage stehen, vor ein spezielles Polizeigericht gestellt, das nicht unabhängig ist und dessen Entscheidungen nicht transparent sind.

TOD IN GEWAHRSAM

Im Januar 2016 berichtete das Adaleh-Zentrum für Menschenrechtsstudien, eine in der Hauptstadt Amman ansässige NGO, dass in den vorhergehenden beiden Monaten mindestens acht Häftlinge in Gewahrsam an den Folgen von Folter gestorben seien. Im April teilte der Menschenrechtskoordinator der Regierung mit, dass Journalisten und Menschenrechtsverteidiger an einigen Verfahren vor Polizeigerichten teilnehmen dürften, u. a. an dem Prozess gegen drei Polizisten, die beschuldigt wurden, im September 2015 Omar al-Naser im Gewahrsam der Kriminalpolizei zu Tode geprügelt zu haben. Der Prozess wurde wiederholt ohne Begründung über längere Zeiträume vertagt und war Ende 2016 noch nicht abgeschlossen. Keine Informationen lagen darüber vor, ob die Polizisten, denen vorgeworfen wird, 2015 in Irbid im Polizeigewahrsam Abdullah Zu’bi erschlagen zu haben, strafrechtlich verfolgt werden würden.

UNFAIRE GERICHTSVERFAHREN

Die Regierung ging weiterhin strafrechtlich gegen mutmaßliche Anhänger des IS und anderer bewaffneter Gruppierungen vor, aber auch gegen Journalisten und politische Aktivisten der Opposition. Auf der Grundlage der Antiterrorgesetzgebung und anderer Gesetze wurden diese Personen vor das SSC gestellt. Dieses Gericht gleicht einem Militärgericht, und seine Prozesse entsprechen nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren.

Unter den Angeklagten befand sich auch Adam al-Natour, der die polnische und die jordanische Staatsangehörigkeit besitzt. Er wurde vor dem SSC zu vier Jahren Haft verurteilt, weil das Gericht ihn für schuldig befand, "einer bewaffneten Gruppe und einer terroristischen Organisation beigetreten" zu sein. Das Urteil stützte sich auf ein "Geständnis", das laut Angaben des Angeklagten unter Folter durch Verhörpersonal des Geheimdienstes von ihm erpresst worden war. Die Geheimdienstmitarbeiter hätten ihn während seiner dreiwöchigen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt geschlagen und ihn mit Elektroschocks gequält. Nach seiner Festnahme war er einem Staatsanwalt des SSC vorgeführt worden, der ihn dazu nötigte, eine Aussage auf Arabisch zu unterzeichnen, einer Sprache, die er weder lesen noch verstehen konnte.

VERWALTUNGSHAFT

Die Behörden hielten Zehntausende Menschen weiterhin auf Grundlage des Gesetzes zur Verbrechensverhütung aus dem Jahr 1954 in Verwaltungshaft. Das Gesetz gibt Provinzgouverneuren die Befugnis, Personen bis zu einem Jahr ohne Anklage oder Gerichtsverfahren zu inhaftieren. Verwaltungshäftlinge haben keine Möglichkeit, gegen ihre Inhaftierung Rechtsmittel einzulegen.

RECHTE AUF MEINUNGS-, VEREINIGUNGS- UND VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Die Regierung schränkte die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung auch 2016 stark ein. Dutzende Journalisten und Regierungskritiker wurden festgenommen oder strafrechtlich verfolgt mit dem Hinweis auf Paragraphen des Strafgesetzbuchs, die Verleumdung unter Strafe stellen, sowie auf der Grundlage der jordanischen Antiterrorgesetze, die Kritik an ausländischen Staatschefs oder Staaten strafbar machen. Im Juli 2016 berichtete das offizielle und unabhängige Nationale Menschenrechtszentrum (National Centre for Human Rights) über einen Anstieg der Festnahmen von friedlichen Regierungskritikern und Demonstrierenden unter diesen Gesetzen. Ihre Fälle wurden an das SSC verwiesen.

Im Mai 2016 kam der Universitätsprofessor Dr. Eyad Qunaibi aus der Haft frei. Er war im Dezember 2015 zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, nachdem ihn das SSC für schuldig befunden hatte, "das politische Regime zu untergraben (…) oder zur Opposition aufgewiegelt zu haben", weil er die Beziehungen Jordaniens zu Israel in einem _Facebook-_Kommentar kritisiert hatte.

Am 25. September 2016 erschoss ein Unbekannter den Journalisten Nahed Hattar vor einem Gerichtsgebäude in Amman, wo dieser sich wegen der Veröffentlichung eines satirischen Cartoons auf Facebook verantworten sollte. Die Zeichnung war von den Behörden als Diffamierung des Islam betrachtet worden. Der Journalist hatte fast einen Monat in Untersuchungshaft verbracht, bevor er gegen Kaution freigekommen war. Jordaniens offizielle Nachrichtenagentur teilte mit, der mutmaßliche Täter sei noch am Tatort festgenommen worden. Der Fall wurde später an das SSC verwiesen, das u. a. wegen Mordes Anklage erhob.

Sollte ein Entwurf zur Änderung des Gesetzes über Organisationen, der im März 2016 vorgelegt wurde, in Kraft treten, hätte die Regierung noch mehr Befugnisse, die offizielle Zulassung von NGOs und deren Arbeit aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung zu unterbinden. Außerdem würde das Gesetz NGOs den Zugang zu internationalen Spenden ohne Angabe von Gründen verwehren. Ende 2016 waren die Änderungen noch nicht umgesetzt.

RECHTE VON FRAUEN UND MÄDCHEN

Frauen wurden weiterhin durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert und waren nicht ausreichend gegen Verbrechen im Namen der Ehre und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt.

Im April 2016 billigte ein parlamentarischer Rechtsausschuss vorgeschlagene Änderungen am Paragraphen 308 des Strafgesetzbuchs. Sie sehen vor, dass Vergewaltiger nicht länger der strafrechtlichen Verfolgung entgehen können, indem sie das Opfer heiraten. Das geänderte Gesetz würde aber immer noch Straffreiheit durch Heirat gewähren, sofern das Opfer zwischen 15 und 18 Jahre alt ist. Bis Ende 2016 waren die Änderungen noch nicht in Kraft getreten.

Im Vorfeld der 2017 anstehenden Überprüfung Jordaniens durch den UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau erbat dieser Ausschuss im Juli 2016 Informationen von der jordanischen Regierung. Der Ausschuss erkundigte sich u. a. nach etwaigen Plänen der Regierung, das Staatsbürgerschaftsgesetz dahingehend zu ändern, dass jordanische Frauen, die mit Ausländern verheiratet sind, ebenso wie jordanische Männer die Möglichkeit erhalten, ihre Staatsangehörigkeit auf ihre Kinder und ihre Ehepartner zu übertragen. Damit bekämen die Familien der Frauen besseren Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem und weiteren staatlichen Leistungen. Außerdem fragte der Ausschuss an, ob es Pläne gäbe, Paragraph 308 und andere Bestimmungen des Strafgesetzbuchs so zu ändern, dass Vergewaltiger nicht mehr der strafrechtlichen Verfolgung entgehen können und es im Fall von Verbrechen im Namen der Ehre keine Strafminderung mehr gibt.

RECHTE VON ARBEITSMIGRANTEN

Arbeitsmigranten wurden weiterhin ausgebeutet und misshandelt. Im Februar 2016 berichtete die in Amman ansässige NGO Tamkeen, dass 80000 ausländische Hausangestellte nicht unter das Arbeitsrecht fielen und deshalb schutzlos der Gewalt und den Misshandlungen ihrer Arbeitgeber ausgeliefert seien. Während ihres Besuchs in Jordanien berichtete die UN-Sonderberichterstatterin über den Menschenhandel, insbesondere den Frauen- und Kinderhandel, dass Arbeitsmigrantinnen, die als Hausangestellte arbeiten und vor ihren gewalttätigen Arbeitgebern fliehen, in großer Gefahr seien, Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu werden. Sie wies auch darauf hin, dass aus Syrien geflüchtete Frauen und Kinder dieser Gefahr ausgesetzt seien.

FLÜCHTLINGE UND ASYLSUCHENDE

Jordanien beherbergte 2016 mehr als 655000 Flüchtlinge aus Syrien, unter ihnen 16000 Palästinenser, und fast 60000 Flüchtlinge aus anderen Ländern, u. a. Irak, Jemen und Somalia. Hinzu kamen 2,1 Mio. palästinensische Flüchtlinge, die bereits seit vielen Jahren in Jordanien leben.

Ende 2016 saßen 75000 syrische Flüchtlinge unter katastrophalen Bedingungen im Berm fest, einer von riesigen Sandwällen dominierten Pufferzone entlang der Grenze in der Wüste zwischen den syrisch-jordanischen Grenzübergängen Rukban und Hadalat. Die jordanische Regierung verwehrte den meisten von ihnen aus Sicherheitsgründen die Einreise. Im Mai 2016 durften allerdings 12000 Menschen nach Jordanien einreisen und wurden ins Dorf Nr. 5 gebracht, ein eingezäuntes Areal des Flüchtlingslager Azraq, das sie nicht verlassen durften. Am 21. Juni riegelte die Regierung die Grenze zu Syrien nach einem Selbstmordattentat ab. Damit war der Zugang für humanitäre Hilfsgüter für die im Berm gestrandeten Flüchtlinge versperrt. Jordanien führt bereits seit 2012 verschärfte Grenzkontrollen durch. Einige Flüchtlinge wurden aus vorgeblichen Sicherheitsgründen abgeschoben.

Im Juli 2016 hatte Jordanien lediglich 45 % der Hilfszahlungen der internationalen Gemeinschaft erhalten, die laut den Vereinten Nationen nötig wären, um die Flüchtlinge aus Syrien angemessen zu versorgen. Rund 86 % der in jordanischen Städten ansässigen Syrer lebten Berichten zufolge unter der Armutsgrenze und hatten nur eingeschränkten Zugang zu staatlichen Leistungen.

TODESSTRAFE

Gerichte sprachen 2016 weiterhin Todesurteile aus, es gab jedoch keine Hinrichtungen. Im Februar 2016 dementierte ein Regierungssprecher Medienberichte, wonach die Regierung die Hinrichtung von 13 Personen plane.

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